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zur geschichte deutschsprachiger
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Die Wettbewerbe: in 4 Jahren vom Aufbruch zur Endzeit In die Bresche, die der ZEIT/ IBM-Wettbewerb hinterliess, sprang 1999 im Rahmen der Literaturtage Baden-Württemberg die Stadt Ettlingen mit dem Ettlinger Internet-Literaturwettbewerb(27). Konzeption und Organisation leistete Oliver Gassner(28) in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt Ettlingen, er versuchte dabei Offline-Literatur und Online-Literatur in einem Festival zusammen zu bringen. Bei den Veranstaltungen im Rahmen der Literaturtage standen die Türen stets weit offen, doch die Netzliteraten blieben im trauten Kreis. Einmal mehr verpasste das literarisch interessierte Publikum die Gelegenheit, das junge Phänomen, seine Exponenten und ihre Diskurse kennenzulernen und herauszufinden, ob da wirklich eine literarische Aventgarde heranwächst. Und auch der Idee einer Kooperation zwischen Netzliteraten und herkömmlichen Literaten war wenig Erfolg beschieden: Autor Bert Papenfuss´ Kooperation mit der Netzliteratin Martina Kieninger jedenfalls notabene die einzig zustandegekommene von dreien bestand darin, dass der Papierautor der Netzliteratin ein meterlanges Fax mit einem seltsamen Piratendrama ein Manuskript aus der Schublade schickte und sie dann damit sitzen liess. Kieningers Reaktion darauf war hingegen sehr schlagfertig: "Es gab nur eins Schiffe versenken!" Sie ironisierte Kooperation und Text und kreierte in wenigen Tagen ein Bildschirmmeer, auf dem Piratenschiffe kreuzen, sich Worte wie Enterhaken entgegenwerfen, Gefechte liefern und einander versenken. Der Wettbewerb von Ettlingen an sich aber war ein Erfolg. Zum ersten Mal saßen mehrere Kenner und Exponenten der neuen Szene in der Jury , zum ersten Mal wurde eine Unterteilung der Preise in Kategorien versucht, wenn auch in Zukunft aktiv daran weitergedacht werden muss und zum ersten Mal fand eine fruchtbare Präsentation und Diskussion der Beiträge in einer Veranstaltung am Tag danach statt. In lediglich vier Jahren hat sich der Wettbewerb schon beträchtlich weiterentwickelt. Noch 1996 bestand die Jury vorwiegend aus Kritikern des Feuilletons, die weder gross etwas mit den neuen Texten anfangen konnte, noch überhaupt mit Computern umzugehen wussten ein schlechtes Omen für das erst im Entstehen begriffene neue Genre. 1996 und 1997 hatte sich die ZEIT mittels der ersten Wettbewerbe schlicht und einfach auf die Suche nach dem Zeitgeist begeben. Die durchaus verdienstvolle Pioniertat verkümmerte aber durch die Unaufgeschlossenheit und Verunsicherung der Macher. Internet-Literatur war den Machern und Juroren weitgehend unbekannt und vielleicht sogar suspekt. Das Neue war schwierig einzuschätzen, zugegebenermassen, denn Techniken und Aufschreibesysteme waren und sind in ständiger Entwicklung und veränderten und verändern auch die kreativen Anwendungen fortlaufend. Man behalf sich mit Restriktion und Rückgriff auf klassische Genres. Zur Teilnahme eingeladen waren alle, die die ästhetischen und technischen Mittel des Internet einsetzten, um Sprache zu gestalten und neue Ausdrucksformen zu entwickeln. Darüber hinaus wollte man nicht konkreter formulieren, wie Internet-Literatur auszusehen habe. Dies stand so in der Ausschreibung zum zweiten Internet-Literaturpreis. Die ZEIT war vorsichtig geworden, denn ihre Ausschreibung zum allerersten Internet-Literaturpreis in deutscher Sprache Ende 1995 und Anfang 1996 hatte zu heftigen Diskussionen unter den Teilnehmenden geführt. Anlass dazu hatten vor allem zwei Dinge gegeben: die offensichtliche Unkenntnis der Jury in Sachen Internet sowie die drastische Beschränkung der Texte auf Dateien von 60 Kbyte Grösse. Multimediale Texte waren von vornherein ausgeschlossen, kein Film, kein Ton, kein Java war erlaubt, neben 20 Kbyte Text durfte man 40 Kbyte Grafik und 8 Kbyte HTML-Code verwenden, um sein Werk darzustellen. Das ist etwa so, wie wenn man einem Architekten Zwei Kubikmeter Holz, ein bisschen Gips und Farbe gibt und erwartet, dass er damit eine Kathedrale baut. Da stellte sich natürlich sofort die Frage, wer durfte wem vorschreiben, wie diese neue Art von Literatur auszusehen habe. Die Jury wurde denn auch hart angegriffen und von einem Teilnehmer beispielsweise als "Lordsiegelbewahrer der deutschen Kulturburschwasie" bezeichnet. Doch auch nach langen Diskussionen in den elektronischen Foren wurde die Ausschreibung nicht mehr geändert und die aus Literaturkritikern und Redakteuren zusammengestellte Jury kam nach der Sichtung aller 184 Beiträge an einem einzigen Wochenende zu einem klaren Entscheid: Der erste Preis ging an Martina Kieninger, die ein witziges, ironisches Theaterstück aus Text und Ascii-Grafiken entworfen hatte. Zusätzlich wurden drei weitere Preise vergeben sowie ein Sonderpreis für das Fernseh- oder Videogedicht Verwunschlos von Sven Stillich, der sich bewusst nicht an die technischen Vorgaben gehalten hatte. Selbstverständlich waren viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer enttäuscht über diese Wahl. Wer gutes Webdesign forcierte, konnte sich mit den einfachen Ascii-Grafiken nicht anfreunden. Wer mehr Inhalt forderte, konnte sich mit manchem Effekt wie blinkenden und sich bewegenden Worten nicht anfreunden. Und wer mehr Innovation verlangte, konnte die beim besten Willen nicht finden. Dabei hatte jeder das Gefühl,besser zu wissen, wie Netzliteratur aussehen sollte und jedem stand sein eigener Text am nächsten. Im Vordergrund stand beim ersten Wettbewerb 1996 eindeutig der Text; ein Hypertext, der möglichst nahe beim klassischen linearen Text anzusiedeln war. Die unklare und ratlose Einschätzung der Werke durch die Jury war auch daran zu erkennen, dass sie ein Drama, ein Gedicht, eine Kurzgeschichte sowie ein Bild/Text-Experiment prämiert hatte, also in ihrer Hilflosigkeit indirekt eine klassische Gattungsunterscheidung zu evozierte und nicht etwa versuchte, Kriterien nach einer möglichen Ästehtik des Netzes zu entwerfen. Im Rückblick ist zu sagen, dass trotz allseitiger Unklarheiten ein ansprechendes Resultat herausschaute. 1996 wurde keine Eintagesfliege prämiert, sondern mit Martina Kieninger eine engagierte und aktive Exponentin der Netzliteratur, die ihre narrativen Hypertexte seither ein gutes Stück weiterentwickeln konnte und ein aufmerksames Publikum gefunden hat. Wichtigstes Resultat aber war: Der umstrittene Wettbewerb hatte in der Auseinandersetzung die Steine ins Rollen gebracht und eine Community im Web erst richtig konstituiert. 1997 bestand die Jury wieder vorwiegend aus Kritikern aus dem Literaturbereich mittlerweile etwas vertrauter mit Computern mit einer Ergänzung: Sonderpreisgewinner Sven Stillich wurde gnädigerweise als Stimme der Internet-Community ins Gremium aufgenommen. Stillich sorgte auch sofort dafür, dass keine unsinnigen technischen Restriktionen mehr in die Ausschreibung kamen, eine Massnahme, die das Spektrum deutlich erweiterte. Im Prinzip war nun alles erlaubt, was plattformübergreifend einsehbar war. Ende gut, alles gut? Mitnichten! Die Jury, die unter 163 Einsendungen auszuwählen hatte, teilte den Preis auf die beiden Beiträge von Susanne Berkenheger (Zeit für die Bombe) und Peter Berlich (CORE) auf. Sie galten der Jury gleicherweise als "gelungene Verknüpfung von Idee, Text und Hyperlink-Technik". Doch sofort tobte im Internet-Forum der ZEIT ein Sturm der Entrüstung los. Die Unmutsäusserungen bezogen sich aber nicht auf die Auswahl der Preisträger, sondern auf die Art und Weise der Wahl. Die Jury hatte nämlich kulturdiktatorisch verlauten lassen, dass sie "die intendierte Verbindung von literarisch gestalteter Aussage und technischen Möglichkeiten des Internet" in keinem (!) Beitrag "in preiswürdiger Form verwirklicht" sah und daher "ihre diesjährige Entscheidung in erster Linie als Ermutigung der Teilnehmer, ihre Anstrengungen künftig stärker auf diese Verbindung auszurichten" betrachte. Das war für viele Wettbewerbsteilnehmer dann doch etwas starker Tabak. Sie interpretierten diese Aussage als (arrogante) Disqualifikation ihrer Bemühungen und warfen der Jury vor, sie hätte nicht gewusst, nach welchen Kriterien sie die Beiträge bewerten sollte und hätte wohl etliche der Beiträge auch nicht gelesen. Letzteres lag auf der Hand, da die Jury alle 163 Beiträge an einem einzigen Wochenende gesichtet hatte ein Ding der Unmöglichkeit, dabei alles zu lesen. Und ersteres wurde dann von Juryvertreter Hermann Rotermund bestätigt, als er in seiner Laudatio sagte: "Wir wissen tatsächlich noch nicht, was Internet-Literatur IST. Wir koennen anhand der vorhandenen Elemente nur ahnen, was sie WIRD oder werden koennte." Rotermund hatte aber dabei nicht die Absicht, den kritischen Teilnehmern klein beizugeben, er wollte vielmehr festhalten, dass solange sich die Internet-Literatur noch in ihrem Anfangsstadium befindet und keine klaren Konturen hat, die Jury trotz immer stärker aufkommender Multimedialität nach der Maxime handeln wird: Wer Internet-Literatur machen will, muss zumindest etwas von Literatur verstehen. Der Rückblick auf 1997 zeigt, dass wiederum der Text im Vordergrund stand. Diesmal aber eindeutig als Fiktion. Das narrative Element war zum wichtigsten Kriterium geworden. Die beiden prämierten Fiktionen setzten ihre technischen Effekte integral als literarische Mittel ein und konnten so nicht nur die Jury überzeugen. Seit diesem Wettbewerb haben die beiden Autoren Susanne Berkenheger und Peter Berlich neue Werke entwickelt, die wiederum mit sorgfältigen Innovationen die Erzählstrategien zu erweitern wissen. 1998 hatte die Jury nicht mehr Bewertungskriterien zur Hand als im Vorjahr. Es schien gar, als sei ihr das Hauptkriterium, nämlich dass es um Literatur ginge, auch noch abhanden gekommen. Der Pegasus 98 nannte sich lediglich noch Internet-Wettbewerb. Der Literaturbegriff war den Feuilletonisten wohl zu eng geworden, nachdem schon im Jahr zuvor die eingesandten Beiträge zunehmend Text, Design, Bild, Ton kombinierten. Ausserdem wollte man nun die Programmierung als Teil der Autorschaft anerkennen(29) ohne aber dabei den literarischen Fokus zu verlieren. Der Wettbewerb beschritt damit den Weg vom Textmedium zu den Multimedia: Prämiert wurden durchwegs multimediale Projekte. Die Gewinner des Wettbewerbs waren Frank Klötgen und Dirk Günther mit ihrem Bilderdrama Die Aaleskorte der Ölig(30), ein Bilderdrama in 20 Szenen, die vom Leser selbst anhand von Fotografien der Personen und Regieanweisungen zu einem Film zusammengestellt werden müssen und die in immer neuen Versionen abgedreht werden, 6,9 Milliarden mal, wenn man denn Zeit und Musse hätte dafür. Den zweiten Preis erhielt das multimediale Werk von Jürgen Daiber und Jochen Metzger Trost der Bilder(31). Sie treiben ein Psychospiel mit dem Leser. Nach vielen Versprechungen sollen Geschichten einstweilen den Leser trösten, doch es passiert einfach nichts. Das Stück ist grafisch durchgestylt und mit Text, Ton, Bild und animierter Navigation garniert. Auch die beiden Projekte von Florian Cramer(32) und Batsian Böttcher, die je einen Sonderpreis gewannen, überzeugen vor allem durch ihre Multimedialität: Böttcher kreierte mit Looppool(33) einen Rapomaten, dem der Leser einen Rap entlocken kann, und dessen einzelne Verse er selbst durch Kombination des Weges im ornamentalen Labyrinth zusammenstellen kann. Zusammenfassend ist zu sagen, dass 1998 ein zuerst zaghafter, aber dann mutiger Schritt in Richtung Multimedialität getan wurde, und zumindest in der Aaleskorte steht die Narration der Multimedialität nicht nach. 1999 stand die Interaktivität im Mittelpunkt. Prämiert wurden in Ettlingen fast ausnahmslos sogenannte interaktive Texte und Projekte, bei denen der Leser die Möglichkeit hat, selbst einzugreifen die Interaktivität ist jedoch stets eine asynchrone. Die prämierten Projekte sind sehr dokumentarisch gehalten und erinnern stark an oral history wie das Generationenprojekt(34) und zu einem gewissen Grad auch 23:40(35), oder sie sind sehr spielerisch und experimentell im Gebrauch von und im Umgang mit Sprache und Text, aber machen keinen Gebrauch mehr von Fiktion und Narration wie der Assoziationsblaster. Preise wurden erstmals in drei Kategorien vergeben: dem Themenwettbewerb zur jahr.1000.www.ende, einem Autorenpreis und einem Projektpreis. Der Themenwettbewerb ging an das Generationenprojekt von Jan Ulrich Hasecke und an den Assoziationsblaster der beiden Stuttgarter Alvar Freude und Dragan Espenschied.Beide Arbeiten bieten ihren Lesern die Möglichkeit in den Text einzugreifen. Das Generationenprojekt sammelt alltägliche Erinnerungen an Ereignisse der letzen 50 Jahre während der Assoziationsblaster(36) seine Besucher dazu einlädt, mit Gedanken Assoziationsketten zu einem dichten Netz von Eindrücken zu verknüpfen. Den Projektpreis erhielt die Arbeit 23:40 des Hamburgers Guido Grigat. Auch hier ist der Leser zur direkten Mitarbeit aufgefordert. Jede Minute des Tages kann mit einem Text oder Bild gefüllt werden, doch die in einer Datenbank abgelegten Fragmente sind danach nur zu jeweils dieser Minute des Tages sichtbar: Für einmal also behält das Internet Daten zurück, anstatt sie zur ständigen Verfügung zu halten. Den Autorenpreis erhielt Susanne Berkenheger aus München für ihre Hyperfiction "Hilfe!"(37), in der sie mit kleinen und grossen Browser-Fenstern und kurzen dialogischen Sätzen arbeitet. Ein Flugzeugabsturz lässt die verzwickten Beziehungen von vier Personen nochmals Revue passieren. Das Faszinierende an Berkenhegers Geschichte ist, dass die Figuren auf dem Bildschirm entstehen und nach dessen eigenen Gesetzen zu agieren vermögen. Berkenhegers "Hilfe!" ist auch die Ausnahme unter den prämierten Texten von 1999: eine klare abgeschlossene Hyperfiktion einer einzigen Autorin mit Betonung der Fiktion und der Verwebung technischer Elemente zu literarischen Mitteln. Die klare Veränderung des Internet Literaturwettbewerbs in seinen vier Jahren zeigt gleichsam auch in etwa die Entwicklungsrichtung der deutschsprachigen Netzliteratur, bzw. Webfiction in ihren ersten fünf Jahren auf. Zusammenfassend, so kann man wohl sagen, war im Jahre 1996 eindeutig die Auseinandersetzung mit Text/ Hypertext das dominante Element der Netzliteratur. 1997 wurde der Aspekt der Fiktion besonders stark herausgearbeitet. 1998 dann wurde ein erster Schritt vom Textmedium zu den Multimedia versucht und dabei das Handwerk des Programmierens eindeutig aufgewertet. Und 1999 weisen die Bemühungen in Richtung der Interaktivität bzw. einer asynchronen Interaktivität, die den Leser zum sorgfältigen workshopmässigen Mitarbeiten am Text auffordert. Selbstverständlich sind die Experimente in keine der Richtungen abgeschlossen, sondern nach dem Abschluss der Endzeit an der Jahrtausendwende ganz unaufgefordert wieder beim Aufbruch angelangt. Dabei zieht sich zumindest ein dominierender Aspekt als roter Faden durch die kurze Geschichte der Frühphase der Hyperfictions: die innovative und sowohl sprachlich als auch technisch geschickte und geschulte Anwendung von Erzählstrategien in neuen Mustern und Formen. |
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:: updated 10. april 2000 |
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